Die experimentelle Studie baut auf bestehender Forschung – unter anderem von Co-Autor Nicolas Roulin (Saint Mary’s University, Halifax) – zu Diskriminierung in technologiegestützten Interviews auf und ergänzt diese um eine deutsche Stichprobe. Hierfür setzte Prof. Dr. Johannes Basch gemeinsam mit Roulin und den drei HNU-Studierenden Josua Gläsner, Raphael Spengler und Julia Wilhelm unterschiedliche Videohintergründe ein: zum einen einen Hintergrund mit sichtbaren Hinweisen auf eine Zugehörigkeit zum Islam (u.a. über das Bild einer Moschee) oder auf Homosexualität (u.a. über eine Regenbogenflagge), zum anderen einen neutralen Hintergrund ohne diese visuellen Hinweise. Auf diese Weise ließen sich die Auswirkungen auf die Personalverantwortlichen in den direkten Vergleich setzen.
Hinweise auf Zugehörigkeit zum Islam oder Homosexualität können sich nachteilig auswirken
Die Ergebnisse: Sichtbare Hinweise auf eine Zugehörigkeit zum Islam können dazu führen, dass die Kompetenz von Bewerbenden (im Fall der Studie: eines Bewerbers) als geringer wahrgenommen wird – auf die Wahrnehmung von Wärme und die Interviewleistung wirkten sich die visuellen Hinweise hingegen nicht aus. Hinweise auf Homosexualität hatten insgesamt keinen direkten Einfluss auf die Wahrnehmung der Bewerbenden.
Darüber hinaus lenkten persönliche Einstellungen der Bewertenden – beispielsweise ihre intrinsische religiöse Orientierung oder ihre Haltung zu Homosexualität – die Bewertungen der Kandidatinnen und Kandidaten: Die Forschenden konnten aufzeigen, dass eine nicht-muslimische religiöse Orientierung negativ mit der Bewertung des muslimischen Bewerbers bzw. der Bewerberin und eine negative Einstellung zur Homosexualität negativ mit der Bewertung des homosexuellen Bewerbers bzw. der Bewerberin verbunden war.
In Zeiten fortschreitender Digitalisierung erfreuen sich technologiegestützte Vorstellungsgespräche zunehmender Beliebtheit. Wie die Studie unter Beweis stellt, bergen Videointerviews – abseits technischer Komplikationen wie etwa einer wackeligen Internetverbindung oder einer schlechter Webcam – allerdings auch die Gefahr, dass Einblicke in die privaten Räume von Kandidatinnen und Kandidaten zum Stolperstein werden oder gar zu Diskriminierung marginalisierter Gruppen führen, obwohl die offenbarten Eigenschaften nichts mit der fachlichen Eignung der Bewerbenden zu tun haben.
Fazit für die Praxis: auf versteckte Vorurteile achten, strukturiert interviewen
Welche Handlungsempfehlungen leiten sich daraus für die Praxis ab? Vorerst bleibt es für Bewerbende wohl der sicherste Weg, in technologiegestützten Interviews auf einen neutralen Hintergrund zu setzen, um eine mögliche Diskriminierung zu vermeiden. Personalverantwortliche wiederum sollten mit strukturierten Interviews und Bewertungsskalen arbeiten, da diese Verzerrungen vorbeugen. Und für alle gilt: Es ist ratsam, bezüglich (versteckter) Vorurteile wachsam zu sein und eigene Voreingenommenheit kritisch zu hinterfragen.
*two-spirit, lesbian, gay, bisexual, transgender, queer, questioning or intersex
Zur Publikation
Basch, Johannes M.; Roulin, Nicolas; Gläsner, Josua; Spengler, Raphael; Wilhelm, Julia (2024): How different backgrounds in video interviews can bias evaluations of applicants. In: Int J Selection Assessment, Artikel ijsa.12487. Online unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ijsa.12487
Ansprechparter
Prof. Dr. Johannes Basch