Zurück zur Übersicht

Em­ploy­er Bran­ding in der Ge­sund­heits­wirt­schaft: Ein Pro­mo­ti­ons­pro­jekt für mehr Fach­kräf­te in Kran­ken­häu­sern

19.11.2020, We­ge in die Wis­sen­schaft :

Deutsche Krankenhäuser leiden zunehmend unter einem gravierenden Mangel an praktizierenden Mediziner*innen – angesichts des demografischen Wandels im Krankenhaussektor eine Entwicklung mit steigender Tendenz. Wir haben uns mit Dr. Denisa Schill unterhalten, die in diesem Jahr kooperativ an der HNU promoviert hat und in der strategischen Unternehmensentwicklung tätig ist. Sie erklärt, wie das Employer Branding grundsätzlich für mehr Fachkräfte in Krankenhäusern sorgen kann und wo ihre Dissertation dabei ganz konkret ansetzt – und verrät uns nebenbei einiges über ihren Weg in die Wissenschaft.
 

Em­ploy­er Bran­ding

Die Arbeitgebermarke (Employer Brand) ist das in den Köpfen der (potentiellen) Mitarbeitenden verankerte Vorstellungsbild eines Unternehmens. Employer Branding als gezieltes Optimieren dieser Vorstellung ist ein strategischer Hebel, der primär nach außen wirkt, um Bewerber*innen anzuziehen. Gleichzeitig wirkt er auch nach innen, um Mitarbeitende emotional zu binden, markenkonformes Verhalten zu sichern und angestrebte Werte zu vertiefen.

Dr. Denisa Schill bei einem HNU-Vortrag auf der 4th Academic International Conference on Economics an der University of Cambridge (2017)

[1]

Der Startpunkt: studentische Hilfskraft am Kompetenzzentrum Wachstums- und Vertriebsstrategien

Der erste Stein für Denisa Schills zukünftiges Promotionsprojekt wird bereits im Bachelorstudium gelegt, wo sich schnell ihr Faible für Vertriebsmanagement und Marketing herauskristallisiert. Sie ergänzt die beiden Bereiche um den Schwerpunkt Marktforschung – weil man sie damit „wunderbar analytisch unterfüttern“ könne, erklärt sie. Ihr Interesse ist nachhaltig geweckt: Denisa Schill will noch tiefer in die Materie eintauchen und belegt direkt im Anschluss den HNU-Masterstudiengang Advanced Management (öffnet neues Fenster).

Wie bei so vielen Doktorand*innen führt auch ihr Weg zur Promotion letztlich über eine Stelle als studentische Hilfskraft, in ihrem Fall am Kompetenzzentrum Wachstums- und Vertriebsstrategien (öffnet neues Fenster) an der HNU: „Im Studium fehlt einem ja schlichtweg noch der Einblick: Wie geht eigentlich Forschung? Wie läuft die Arbeit an einem Lehrstuhl ab? Wie funktioniert eine Hochschule als Organisation? Als studentische Hilfskraft kann man schnell abgleichen, ob der Weg in die Wissenschaft das Richtige ist“.

[2]

Initialzündung Employer Branding Award: Die Freude an Datenauswertung und praktischen Ableitungen

Die Projektarbeit im Rahmen des Employer Branding Awards (öffnet neues Fenster)ist dabei so etwas wie der Startschuss für ihre Leidenschaft zum wissenschaftlichen Arbeiten: „Das Prozedere hat mich begeistert: Daten in größerem Stil zu erfassen, daraus Parameter zu definieren und verschiedene Korrelationen zu berechnen – und da dann spannende Ergebnisse zu bekommen, die konkrete Ableitungen ermöglichen, das fand ich enorm spannend“.  So lag es nahe, noch einen Schritt weiterzugehen und eine Promotion ins Auge zu fassen. „Geliebäugelt hatte ich schon länger damit“, erzählt Denisa Schill, und so sagt sie zu, als ihr künftiger HNU-Betreuer Prof. Dr. Alexander Kracklauer (öffnet neues Fenster) ihr eine an eine Promotion gekoppelte Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin anbietet. „Da haben sich alle Bausteine mit Leichtigkeit ineinandergefügt. Aber mir war nichtsdestotrotz klar, dass so eine Promotion ein langer Weg ist“, erinnert sich die HNU-Alumna. Sie geht mit realistischen Erwartungen an diesen neuen Abschnitt heran: „Fünf Jahre sind natürlich eine lange Zeit, die einem womöglich später im Berufsleben fehlen. Ausschlaggebend war für mich der Punkt, dass der Praxistransfer immer sichergestellt war: Sowohl am Lehrstuhl als auch durch die Möglichkeit, als assoziierte Partnerin projektbasiert mit einer Firma zu kooperieren – das eine Bein in der Wirtschaft war einfach immer da“. Gemeinsam mit ihrem HNU-Betreuer Prof. Dr. Kracklauer und ihrem in einer kooperativen Promotion vorgesehenen universitären Betreuer Prof. Dr. Christoph Rasche, der an der Universität Potsdam tätig ist, kombiniert Denisa Schill Elemente aus dem Employer-Branding- und Gesundheitsbereich, grenzt ihr Thema ein und entwickelt Forschungsfrage und Projektmeilensteine.

[3]

Ein deutliches Defizit: strategisches Personalmanagement in der Gesundheitswirtschaft

Nicht nur der Bezug zur freien Wirtschaft ist Denisa Schill wichtig, auch die Anschlussfähigkeit an die drängenden Fragen der Gegenwart liegt ihr in ihrer wissenschaftlichen Arbeit maßgeblich am Herzen. Ihr Ausgangspunkt: Der eklatante Fachkräftemangel in der Gesundheitswirtschaft, der, so betont Denisa Schill, schon vor COVID19 ein drängendes Thema war, mit der Pandemie aber noch einmal deutlicher gemacht habe, wo das deutsche Gesundheitssystem stehe und wo seine Grenzen erreicht sind.  „Ob in der Pflege oder unter praktizierenden Mediziner*innen, in Krankenhäusern oder der kleinen Landarztpraxis, überall fehlt es an Fachkräften – und die Situation wird sich perspektivisch noch verschärfen“, erklärt Denisa Schill. Das liege zum einen daran, dass immer mehr Frauen in diesem Bereich tätig und damit andere Arbeitszeitmodelle gefragt sind. Zum anderen sind es Schwachstellen wie Schichtarbeit oder fehlende Unterstützung bei der Kinder- oder Angehörigenbetreuung, die potentielle praktizierende Mediziner*innen von Krankenhäusern und Arztpraxen fernhalten. Hier identifiziert die Wirtschaftswissenschaftlerin großen Handlungsbedarf: „Man sollte meinen, dass sich das implizit und explizit in entsprechenden Personalmaßnahmen niederschlägt. Die Realität aber ist, dass sich die personalwirtschaftliche Praxis meist nicht substanziell mit künftigen Entwicklungen auseinandersetzt“. In vielen Gesundheitseinrichtungen, so erläutert Denisa Schill, werde Personal (nur) als Kostenstelle gesehen; ein strategisches Personalmanagement mit dezidierter Marktorientierung stecke dort oft noch in den Kinderschuhen.

[4]

Ziel der Employer-Branding-Maßnahmen: die Arbeitgebermarke der Krankenhäuser stärken

An diesem Kernproblem setzt Denisa Schills Doktorarbeit an: Sie konzentriert sich auf den Krankenhaussektor, weil der unternehmensähnlicher aufgebaut ist als die Landarztpraxis – und sich so erprobte Maßnahmen und Empfehlungen aus der Wirtschaft ableiten lassen. In diesem Setting entwickelt sie einen ganzheitlichen Lösungsansatz, mit dem sich das Beschaffungsproblem von Mediziner*innen in Krankenhäusern durch gezielte Employer-Branding-Maßnahmen begegnen lässt. Verbunden ist das mit vielen Interviews: Denisa Schill befragt die Menschen, die in Krankenhäusern praktizieren und Führungspositionen innehaben, die im Gesundheitswesen lehren, die in den unterschiedlichsten Fachbereichen von der Chirurgie bis zur Hebammenmedizin tätig sind – und bezieht auch die Ärztinnen und Ärzte in spe ein, für die die angedachten Maßnahmen perspektivisch gedacht sind: Die Medizinstudierenden in den frühen Semestern. Ziel der Interviews: Diejenigen Attraktivitätsfaktoren zu identifizieren und in Maßnahmen zu überführen, die ausschlaggebend dafür sind, dass sich qualifizierte Arbeitskräfte für eine praktizierende Tätigkeit in der kurativen Medizin entscheiden – also dafür, mit und am Menschen im Krankenhaus zu arbeiten, statt, wie in Deutschland oft der Fall, in die Consulting-Branche zu wechseln oder in Länder mit lukrativeren Verdienst- oder besseren Forschungsmöglichkeiten abzuwandern.    

[5]

Kooperative Probanden in einem kooperativen Promotionsprojekt

Neben ihrem eigenen Forschungsprojekt bereitet Denisa Schill während ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin Lehrveranstaltungen vor und unterstützt bei Seminaren und Transferprojekten – ein vielfältiger und abwechslungsreicher Arbeitsalltag mit interessantem fachlichem Austausch, aber natürlich auch durchaus eine (arbeits-)intensive Zeit. „Da bedarf es auch viel Toleranz im familiären Umfeld. Selbstverständlich ist das nicht“, sagt Denisa Schill.

Sie erfährt nicht nur den Rückhalt im Privaten, sondern auch große Unterstützung seitens ihrer interviewten Proband*innen: „Das sind ja allesamt Menschen, die unter Dauerstrom stehen, deren Arbeitsalltag minutiös getaktet ist – und trotzdem waren sie bereit, mir eine Stunde ihrer Zeit zu schenken und sich zwischen zwei OPs interviewen zu lassen. Das hat mich sehr begeistert“.

Solch eine Kooperationsbereitschaft sorgt natürlich für Erleichterung, sagt Denisa Schill, die schlaflose Nächte vor dem quantitativen und qualitativen Teil ihrer Arbeit hatte: Kommen die erforderlichen Stichproben zustande und die Rückläufe im gewünschten Zeitraum zurück? Geht der Zeitplan auf? Dass das alles reibungslos funktioniert hat, führt sie auch darauf zurück, dass ihr Dissertationsthema ein so drängendes Thema berührt: „Wenn mir da die Professorin oder der Chefarzt zurückgemeldet haben, dass das Thema so brennend wichtig sei, dass man dazu eigentlich gleich noch habilitieren müsse – das waren Momente, die mir noch einmal richtig Antrieb gegeben und gezeigt haben, dass ich genau das richtige Thema gewählt habe“. Auch von den ebenfalls interviewten Studierenden, die das Thema als künftige Ärztinnen und Ärzte direkt betrifft, kam positives Feedback: „Es geht um unsere Zukunft, natürlich machen wir mit!“.  

[6]

Employer Branding: für Denisa Schill der rote Faden im Lebenslauf und der Karriereplanung

Ihre eigene Zukunftsplanung hat Denisa Schill mittlerweile in das Management eines mittelständischen Betriebs gebracht, wo sie die strategische Unternehmensentwicklung verantwortet. Aus ihrer Promotionszeit hat sie dorthin nicht nur methodisches Wissen, sondern auch thematische Schwerpunkte mitnehmen können. „Im Bereich Employer Branding war meine jetzige Tätigkeit quasi eine grüne Wiese für mich: Ich konnte das Thema neu aufbauen – nur eben nicht in der Gesundheitswirtschaft, sondern in einem mittelständischen Unternehmen“, erklärt Denisa Schill. Gerade diese Unterschiede seien es aber, die sie aktuell sehr spannend fände: „Wie oft ich am Tag gedanklich zwischen verschiedenen Themenfelder hin- und herswitche, das fasziniert mich selbst immer wieder“. Eine rein universitäre Laufbahn könne sie sich nicht vorstellen, sagt Denisa Schill – den Lehrstuhl an einer Hochschule dafür aber umso besser: „Der intensive Praxisbezug, die kleinen Gruppen – ich finde es toll, nahe an den Studierenden dran zu sein und ihnen das ein oder andere an Werten, an eigener Lebens- und Praxiserfahrung mitgeben zu können“.

Den Weg der Promotion würde sie in jedem Fall immer wieder gehen, bekräftigt sie. „Man lernt ganz andere Seiten und Stärken an sich kennen, eignet sich aber auch einen Umgang mit Tiefpunkten an – denn die kommen. Es ist vollkommen normal, während der Promotion an einen Punkt zu kommen, an dem man an allem zweifelt“. Für Denisa Schill sei der Doktortitel, und das ist für sie ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor, immer zweitrangig gewesen: „Es trägt einen nicht weit, wenn man schon an Tag eins seiner Promotion neue Visitenkarten gestaltet. Die Sache selbst, die Lust am Forschen, das sollte Priorität haben – man muss für das Thema brennen“.

Dr. Denisa Schill während der Verleihung des Employer Branding Awards 2019 an der HNU

Wenn ich nicht gerade forsche/arbeite, dann …
… mache ich Sport oder verbringe Zeit mit meinem Partner, meiner Familie und unseren Hunden in der Natur.

Meine aktuelle Lektüre:
„The Big Five for Life“ und „Was ich gelernt habe – Erkenntnisse für ein glückliches Leben“ von John Strelecky: Bücher, die zum Nachdenken anregen. Darüber hinaus lese ich generell sehr gerne Fachzeitschriften, wie zum Beispiel die Absatzwirtschaft.

Mein Fachgebiet in drei Worten:
marktorientiert, kreativ und strategisch

Meine nächste Publikation wird ... 
Ich kann es kaum erwarten, wieder zu schreiben und forschen. Deshalb bin ich mir sicher, dass es in der Zukunft weitere Publikationen geben wird. In jüngster Vergangenheit habe ich bei der IT sure eine Bachelorandin betreut. Möglicherweise entsteht mit ihr und dem betreuenden Professor schon bald ein Paper.

Wissenschaftlich arbeiten/promovieren ist ...
... eine Bereicherung – sowohl aus persönlicher als auch aus fachlicher Sicht. Ich würde es wieder tun.